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Foto: Marius Helge Larsen.Foto: Marius Helge Larsen

Parlamentspräsident Olemic Thommessen hält Festansprache in Kiel

Letzte Aktualisierung: 14.01.2014 // Kiel, 14. Januar 2014

Lieber Herr Landtagspräsident,

lieber Herr Ministerpräsident,

lieber Herr Bürgermeister,

liebe Gäste,

„Frieden, Frieden im Norden“, schrieb die norwegische Zeitung Tiden im Januar 1814. Die Neuigkeit kam aus Kiel. König Frederik VI. von Dänemark und der schwedische König Karl XIII. waren eine Friedensvereinbarung eingegangen. Doch der Architekt hinter dieser Vereinbarung war Schwedens Kronprinz Karl Johan. Es war sein Wunsch, Frieden und Sicherheit für Schweden zu garantieren, indem Norwegen dem schwedischen König unterworfen werden sollte. Dies war der Hintergrund für den Frieden von Kiel. Karl Johan hat sein Ziel erreicht – und zwar indem er Schweden gemeinsam mit den anderen europäischen Großmächten gegen Napoleons Frankreich kämpfen ließ.

Der Vertrag von Kiel beeinflusste die skandinavischen Länder auf unterschiedliche Weise. Dänemark verlor Norwegen an Schweden. Norwegen bekam in Union mit Schweden seine eigene Verfassung. Doch der Vertrag, der hier in Kiel am heutigen Tag vor 200 Jahren geschlossen wurde, zog auch einen Schlussstrich unter Jahrhunderte des Krieges zwischen den nordischen Ländern. Der Vertrag von Kiel war der Grundstein für dauerhaft friedliche Beziehungen zwischen den nordischen Ländern.

Darum stehe ich voller Demut, Stolz und Freude hier, zusammen mit Ihnen allen aus Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen, um den 200. Jahrestag des Kieler Friedens zu feiern.

Das Jahr der Wunder – so haben viele das Jahr 1814 in Norwegen genannt. Es war hier in dieser Stadt, dass das Tor zur Freiheit sich für Norwegen öffnete. Mit dem Vertrag von Kiel wurde die über 400-jährige Verbindung mit Dänemark aufgelöst. Dies schaffte einen plötzlichen Handlungsspielraum, der es ermöglichte, ein neues politisches System in Norwegen zu etablieren.

In einem freien Norwegen. Mit einer eigenen liberalen Verfassung, im Jahr 1814.

Eine Verfassung, die darauf beruht, das Volk als Repräsentant des allgemeinen Willens zu verstehen. Mit wichtigen Grundwerten wie Unabhängigkeit, Freiheit, Offenheit und Toleranz. Werte, die heute unsere Gesellschaft kennzeichnen. Werte, die zu erreichen Freiheitskämpfer in vielen Ländern der Erde kämpfen. Werte, die wir, wenn es die Umstände erfordern, beschützen.

Diese Grundwerte berühren uns, sie bewegen uns. Damals wie heute. Und vielleicht ist es gerade das Universelle dieser Werte, dem es zu verdanken ist, dass Norwegens Verfassung sich bei bester Gesundheit befindet. Als die zweitälteste noch heute gültige Verfassung der Welt.

Mit der Verfassung von 1814 wurde das moderne Norwegen geboren. Der demokratische Durchbruch zog weite Kreise. Der Demokratisierungsprozess im übrigen Skandinavien nahm Fahrt auf. Dänemark richtete den Blick nach Norwegen. Die norwegische Verfassung wurde zu einem wichtigen Vorbild für die erste dänische Verfassung von 1849.

Gerade dies, einander Vorbild sein, ist eine Tradition, die wir im Norden weitergeführt haben. Heute stehen wir als Partner zusammen. Die Stärke der modernen nordischen Zusammenarbeit besteht vor allem in der Fähigkeit, voneinander zu lernen und sich einander zum Vorbild zu nehmen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

Norwegens Freiheit kam also ursprünglich von außen. Sie wurde zudem mit dem Blut anderer Menschen bezahlt. Das Leiden der Soldaten im Feld und der Zivilbevölkerung in den Herzogtümern Schleswig und Holstein und der Stadt Kiel bedeuteten einen hohen Preis für Norwegens plötzliche Freiheit. Was hier geschah, war ein Teil der Anspruchsregulierung nach den Napoleonischen Kriegen. Die Europakarte wurde neu gezeichnet. Ein System der Machtbalance, in dem die Nationalstaaten die Grundlage bildeten, wurde errichtet.

Die Napoleonischen Kriege und der Frieden von Kiel waren eine Erinnerung und Mahnung, dass die nordischen Länder sowohl Mitspieler als auch Abhängige sind in der Kette der Ereignisse, die in der Welt geschehen.

So wie es auch heute noch der Fall ist. Im heutigen sich stet verändernden Europa. Wo wir enger miteinander verbunden sind als je zuvor. Wo alte Feinde zu guten Freunden geworden sind. Wo die Zusammenarbeit unser Schlüssel ist, um Krisen zu lösen und dunkle Zeiten zu durchstehen. Gestärkt. Vereint.

Norwegen ist nicht Mitglied in der Europäischen Union. Dennoch sind wir eng mit Europa verbunden und in hohem Maße abhängig von den Entwicklungen innerhalb der EU. Als europäische Partner beeinflussen wir einander im Guten wie im Schlechten.

Die Werte unserer Verfassung und die Werte der Verfassung der Europäischen Union basieren beide auf den Grundwerten der Demokratie und auf den grundlegenden Menschenrechten. Wir wollen das Gleiche. Wir sind alle Europäer.

Sowohl das Jahr 1814 als auch die Entwicklung im Europa der Nachkriegszeit haben gezeigt, dass auch in einer Region mit einer äußerst konfliktreichen Geschichte eine friedliche Entwicklung möglich ist.

Zusammen sind wir ein wichtiges Vorbild für andere Länder und Regionen. Wir können Hoffnung auf Frieden und Koexistenz an anderen Orten dieser Welt geben. Wir können zum Aufbau von Demokratie und zur Verbreitung universeller Menschenrechte beitragen. Damit die Nachricht von Frieden und Versöhnung in Zukunft hoffentlich aus Ländern kommt, die heute von Konflikten und Verletzungen der Menschenrechte geprägt sind. So wie 1814 die Nachricht vom Frieden so entscheidend aus Kiel kam.

Abschließend möchte ich gerne all denjenigen danken, die diese Jubiläumsfeier in Kiel ermöglicht haben. Ein besonderer Dank gilt dem Schleswig-Holsteinischen Landtag, der Stadt Kiel, dem Stadtmuseum und der Universität, die alle Engagement, Interesse, Wohlwollen und erhebliche Mittel und Ressourcen beigesteuert haben, so dass wir unsere gemeinsame Geschichte feiern und zugleich dieses Jubiläum in eine europäische und nordische Perspektive rücken können.

Auch will ich einen großen Dank an die deutschen und norwegischen Jugendlichen richten, die heute hier teilnehmen. Ihr, die ihr heute jung seid, werdet diejenigen sein, die an der Demokratie von morgen weiterarbeiten. Und daher ist es besonders erfreulich, dass ihr zu dieser historischen Feier anwesend seid.

Das ostnorwegische Netzwerk Østlandssamarbeidet und das Land Schleswig-Holstein haben gemeinsam die Jugendlichen auf den heutigen Tag vorbereitet.

Kiel, 14. Januar 2014