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Von links: Torsten Albig (Ministerpräsident, Schleswig-Holstein), Olemic Thommessen (Parlamentspräsident), Klaus Schlie (Landtagspräsident, Schleswig-Holstein) und Bård Glad Pedersen (Staatssekretär) im Kieler Schloss.Von links: Torsten Albig (Ministerpräsident, Schleswig-Holstein), Olemic Thommessen (Parlamentspräsident), Klaus Schlie (Landtagspräsident, Schleswig-Holstein) und Bård Glad Pedersen (Staatssekretär) im Kieler Schloss.

Festansprache des norwegischen Staatssekretärs Bård Glad Pedersen zum Kieler Frieden

Letzte Aktualisierung: 14.01.2014 // Kiel, 14. Januar 2014.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

sehr geehrter Herr Bürgermeister,

sehr geehrter Herr Stortingspräsident,

liebe Freundinnen und Freunde Deutschlands und Norwegens,

Hier in Kiel, im Januar 1814, bekam Norwegen eine Chance. Eine Chance, aus einer Provokation gegen das norwegische Volk einen Weg zur norwegischer Unabhängigkeit zu machen.

„Als die Nachricht vom Frieden kam, wurden alle Norweger zornig [...]“, wird Schulleiter Raabe zitiert. „Es gab nicht einen Norweger, der es sich gefallen lassen wollte, dass sein Vaterland als eine Provinz vom einen König an den anderen übergegeben wird.“ (Rektor H. Raabe, Vorsitzender der Norwegischen Lehrervereinigung, 1914).

„Eine Herde von Rindviechern“, wie wir genannt wurden – das war dann doch zu starker Tobak.

Der Funken des norwegischen Unanhängigkeitsgedankens war entzündet.

1814, als Norwegen von Dänemark getrennt wurde und neue Grenzen zwischen Dänemark und dem damaligen Schleswig-Holstein gezogen wurden, entstand der neue Norden. Und für Norwegen war 1814 das Jahr, in dem die Grundlage für unsere norwegische Unabhängigkeit geschaffen wurde. Im Frühjahr 1814 erhielt Norwegen die einzigartige Möglichkeit, seine eigene Verfassung zu schreiben. Eine Grundlage, auf der wir seit 200 Jahren unsere Identität und unsere Werte aufbauen.

Denn wie wird die Identität eines Landes definiert?

Wie wird Zusammengehörigkeit geschaffen?

Was verbindet ein Volk?

Es ist die Suche nach einer gemeinsamen Geschichte, einer gemeinsamen Überzeugung, einem gemeinsamen Projekt – das ist es, was Zusammenhalt zwischen Menschen schafft. Oder im umgekehrten Fall: Die Abwesenheit einer solchen gemeinsamen Grundlage kann zur Spaltung eines Volkes führen.

Am 17. Mai 1814 legte Norwegen die Grundlage, um ein unabhängiges und demokratisches Land zu werden. Mit einer eigenen Verfassung und einem gewählten König.

Es gibt wohl wenige norwegische Traditionen, die uns mit mehr Stolz erfüllen oder die international mehr positives Aufsehen erregen, als unser 17. Mai. Und nicht nur, dass wir unseren Nationaltag feiern. Nicht nur, dass wir die Unterzeichnung der Verfassung von Eidsvoll im Jahr 1814 feiern. Nein, nicht zuletzt ist die Art, wie wir feiern, wichtig.

Keine Militärparade. Stattdessen sind die Straßen voller Kinder und Jugendlicher mit ihren Flaggen und Nationaltrachten – einige auch mit Kopftuch. So zeigt Norwegen seine Stärke, seinen Glauben an die Zukunft und die kommenden Generationen.

Am 17. Mai feiern wir Demokratie und Meinungsfreiheit. Und die Gewissheit, dass Konflikte auf friedliche Weise gelöst werden können.

Heute, wo wir des Kieler Friedens gedenken und wo die Feierlichkeiten zum Jubiläum der Verfassung beginnen, da feiern wir auch den Beginn von 200 Jahren Freundschaft zwischen den skandinavischen Ländern. Ich möchte dafür danken, dass sowohl der stellvertretende Parlamentssprecher des dänischen Folketing als auch der schwedische Botschafter heute hier anwesend sind.

Viel hat sich verändert in diesen 200 Jahren. Und die Welt hat sich niemals so schnell gewandelt wie heute. Wir sind in zunehmendem Maße abhängig voneinander. Was an einem Ort der Welt geschieht, hat direkten Einfluss auf uns, ungeachtet des geografischen Abstandes. Die verschiedenen Regionen haben größere Bedeutung als früher, sei es im Bereich des Handels, der kulturellen Zusammenarbeit oder des Austauschs von Dienstleistungen und Arbeitskräften.

Ein Europa, das zusammenarbeitet, ist ein gutes Beispiel. Wir sehen es auch in Asien, in Afrika – und im Norden. In der ganzen Welt besteht großes Interesse an Nordeuropa. Viele fragen sich: Wie haben es diese Länder, die in früheren Zeiten so oft im Krieg und Konflikt miteinander lagen, geschafft, eine so enge Zusammenarbeit auf so vielen Gebieten zu etablieren?

Wieder können wir auf die Grundlage zurückblicken, die wir 1814 geschaffen haben. Im Laufe einiger weniger Monate im Frühjahr 1814 öffnete sich uns ein Fenster, das uns die Möglichkeit gab, unsere eigene Verfassung zu formulieren. Inspiriert von den damaligen Strömungen in Europa und Amerika mit ihren Prinzipen der Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Menschenrechte. Diese Prinzipien sind in die norwegische Verfassung als zentrale Werte eingeschrieben.

Werte, die noch immer von Bedeutung sind und die den Grundstein unserer Demokratie bilden. Sie tragen zur Sicherung von Recht, Entwicklung und Wohlfahrt bei. Ein Sicherheitsnetz für all diejenigen, die es benötigen. Gleiche Möglichkeiten für alle. Ein inkludierendes Arbeitsleben, kontinuierliches Wachstum und nachhaltige Wertschöpfung.

Die Werte der Verfassung bilden ein solides Fundament. Nicht nur für unsere eigene Gesellschaft, sondern auch für unsere globale Arbeit. Für Frieden, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Menschenrechte.

Es sind gerade diese gemeinsamen Werte, die die europäischen Länder miteinander verbinden und denen wir es verdanken, dass wir uns heute so nahestehen. Zu deren Weiterentwicklung wir gemeinsam auf Ebene der UN und anderer globaler Foren der Zusammenarbeit beitragen.

Diese engen Bande zwischen unseren Ländern werden durch unsere geografische Nähe verstärkt.

Hier in Deutschland finden wir unsere Nachbarn, Freunde und wichtigsten Handelspartner.

An keinem anderen Ort sind unsere Länder geografisch und kulturell so eng miteinander verbunden wie gerade hier – in Schleswig-Holstein.

Kiel ist für viele Norweger das Tor zum europäischen Kontinent. Hunderte norwegische Touristen kommen jeden Tag in Kiel an. Ich selbst bin diese schöne Route mit meiner Familie gereist.

Hier in Kiel werden Norddeutschland und Norwegen zusammengebracht. Nicht nur durch eine Fährverbindung, sondern auch durch politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit. Ein gutes Beispiel ist die intensive regionale Zusammenarbeit mit der norwegischen Region Østlandet. Viele ihrer Vertreter sind heute hier anwesend. Auf der globalen Arena stehen Norwegen und Deutschland sich ebenfalls nahe. Wir arbeiten auf vielen Gebieten eng zusammen: Energie, Abrüstung, Handel, Entwicklung und auch im „hohen Norden“.

Darum sind die Entwicklung in Deutschland und unser Verhältnis zu Ihnen so wichtig für die Interessen Norwegens. Wir danken der deutschen Regierung und dem deutschen Volk für das Engagement und die Offenheit, die Sie Norwegen entgegenbringen. Es war nur natürlich, dass Ministerpräsidentin Erna Solberg ausgerechnet Berlin als Ziel ihrer ersten Auslandsreise wählte.

Das Jubiläumsjahr 2014 regt uns alle zu Reflektion, Engagement und Teilhabe an demokratischen Prozessen an.

Die heutige Feier und unsere eigenen Festlichkeiten zum Jubiläum der norwegischen Verfassung geben uns Anlass, eine Debatte über die zukünftigen Herausforderungen, vor denen die Demokratie steht, anzustoßen.

Die norwegische Verfassung hat seit 200 Jahren eine Vorreiterfunktion für viele Länder in der ganzen Welt. Die Prinzipien der Verfassung und unsere eigenen Erfahrungen aus der Zeit nach dem Kieler Frieden geben uns die Grundlage zu internationaler Zusammenarbeit. Für Frieden und Versöhnung, für die Förderung von Menschenrechten und die Entwicklung von Demokratie und für die Unterstützung der Zivilgesellschaft.

Und nicht zuletzt: um unsere wichtigste Erfahrung zu teilen: Nämlich dass eine gemeinsame Überzeugung, ein gemeinsames Projekt, das, was Identität und Zusammenhalt schafft, eben gerade die Abwesenheit von Krieg ist.

Kiel, 14. Januar 2014.