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Festansprache Landtagspräsident Klaus Schlie zum Kieler Frieden

Rede von Klaus Schlie, Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Feierstunde anlässlich des 200. Jubiläums des „Kieler Friedens“ am Dienstag, 14. Januar 2014 im Kieler Schloss.

Exzellenzen,
sehr geehrter Herr Stortingspräsident,
sehr geehrter Herr Staatssekretär im Ministerium für
Auswärtige Angelegenheiten des Königreichs Norwegen,
sehr geehrter, lieber Herr Generalkonsul Prof. Dr. Becker-Christensen,
Herr Ministerpräsident,
Herr Stadtpräsident, Herr Bürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich darf Sie alle sehr herzlich im Kieler Schloss begrüßen. Der Anlass für die heutige Feierstunde ist ungewöhnlich, zumindest für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Kiel.

Natürlich wissen die Menschen hier, wie stark die Verbindungen mit Skandinavien sind; die täglich ein- und auslaufenden Schiffe der Color- und Stena-Line sind mehr als nur Verkehrsverbindungen.
Die Kielerinnen und Kieler schätzen diese eleganten Botschafter zwischen Schleswig-Holstein und dem Norden ganz besonders. Dass aber bereits vor 200 Jahren Kiel einmal Schicksalsort für Nordeuropa gewesen ist, das war den meisten neu.

Genau das aber geschah 1814, nur wenige hundert Meter von hier. Im Buchwaldschen Hof  unterzeichneten die diplomatischen Vertreter Dänemarks und Schwedens einen denkwürdigen Friedensvertrag, den sogenannten „Kieler Frieden“.

Dieses Dokument beendete die Napoleonischen Kriege in Nordeuropa. Kriege, die wir mit den Namen blutiger Schlachten wie jener von Austerlitz, Leipzig oder Waterloo in Verbindung bringen.

Aber auch Nordeuropa litt schwer unter den Kriegshandlungen und den Kriegsfolgen. Auf Nord- und Ostsee war der Handel praktisch zum Erliegen gekommen und viele Norweger, Dänen, Norddeutsche, Schweden und Finnen ließen damals ihr Leben, wenngleich die Namen ihrer Schlachtfelder heute weitgehend vergessen sind.

Bereits im Vorfeld der heutigen Gedenkfeierlichkeiten wurde deutlich, dass der Kieler Frieden in den Ländern, die 1814 an seinem Zustandekommen beteiligt waren, einen sehr unterschiedlichen Bekanntheitsgrad hat. Erschwerend kommt auch hinzu, dass es die Vertragspartner in ihrer damaligen Form heute eigentlich gar nicht mehr gibt.

Der dänische Gesamtstaat, der 1814 noch eine nordeuropäische Großmacht war, erstreckte sich damals vom Nordkap bis zur Elbe, umfasste also auch Norwegen sowie Teile des heutigen Schleswig-Holstein.

Zu Schweden gehörte bis 1809 noch Finnland, das damals – ebenfalls als eine Kriegsfolge – an Russland abgetreten wurde. Die politischen Akteure von 1814 waren also alles andere als kleine europäische Randstaaten, es waren bedeutende europäische Mächte.

Heute ist der Kieler Frieden vor allem in Norwegen von großer Bedeutung. Für das Königreich, das seit 1380 in Personalunion mit Dänemark regiert wurde, bot der Friedensschluss die entscheidende Möglichkeit, einen neuen selbstbewussten und eigenständigen Weg zu gehen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war dann das in Eidsvoll beschlossene Grundgesetz, eine der frühesten und sehr liberalen Verfassungen in ganz Europa, die bis heute Grundlage der norwegischen Demokratie ist.

Die Norwegerinnen und Norweger werden das 200. Jubiläum der Verfassung von Eidsvoll in diesem Jahr noch feierlich begehen – aber sie wissen auch: ohne den Kieler Frieden hätte es wohl auch kein Grundgesetz von Eidsvoll gegeben. Beide Ereignisse sind untrennbar miteinander verbunden.

Und Kiel? Welche Rolle spielen diese Ereignisse im Bewusstsein unserer Landeshauptstadt heute?

Meine Damen und Herren, ich hatte eingangs bereits angedeutet, dass die Zeit von 1814 im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger Kiels und ganz Schleswig-Holsteins heute weitgehend verblasst ist.

Nach 1814 wandelte sich die europäische Staatenwelt unter dem Zeichen der nationalen Idee: Das führte dazu, dass zuvor bestehende Gemeinschaften von Menschen verschiedener Sprache und Kultur, sich in Monokulturen verwandelten – oder zumindest verwandeln sollten. Der dänische Gesamtstaat war eines dieser Opfer der nationalen Ideen; er zerfiel seit 1814 langsam in nationale Einzelstaaten, deren Nachfahren heute kaum mehr Erinnerung an die Gemeinsamkeiten haben, die es einmal zwischen Gesamtstaatsuntertanen dänischer, norwegischer und deutscher Sprache gegeben hat.

Es ist deshalb ein wichtiger Punkt der heutigen Gedenkfeier, die Menschen in allen am damaligen Friedensschluss beteiligten Nachfolgestaaten und -regionen des Jahres 2014 daran zu erinnern, dass sich in ihrer Geschichte viel Gemeinsames finden lässt.

Wenn wir diese Suche nach Gemeinsamkeit in den Mittelpunkt unseres Erinnerns stellen, dann erübrigen sich die Fragen, wer denn Gewinner und wer Verlierer des Kieler Friedens gewesen ist. Für die Menschen bedeutete er das Ende eines beinahe 15-jährigen Krieges mit Blockaden, Stillstand des Handels, Kriegselend und Not. Für sie begannen endlich bessere Zeiten – ganz gleich, welche Sprache sie sprachen oder wessen Untertan sie waren.

Der Kieler Frieden von 1814 steht historisch im Schatten des weitaus bekannteren Wiener Kongress von 1815. Zu Unrecht, wie ich meine. Der mitteleuropäische „Wiener Frieden“ von 1815 bescherte seinen Unterzeichnern keinen dauerhaften Frieden. In der dort damals geschaffenen Mächteordnung sehen viele Historiker sogar eine Ursache des Ersten Weltkrieges von 1914, dessen Ausbruch wir in diesem Jahr ebenfalls gedenken.

Dieser Krieg blieb Dänemark, Schweden und Norwegen erspart. Und das ist kein Zufall, sondern es ist das Ergebnis des Kieler Friedens, der die Neuordnung in Nordeuropa sehr viel nachhaltiger, aber auch erfolgreicher schuf, als der Wiener Kongress dies vermochte.

Das Erfolgsrezept dieser friedlichen Entwicklung finden wir ebenfalls bereits im Jahr 1814. Es ist untrennbar mit dem Namen „Eidsvoll“ verbunden: Hier machte Norwegen den anderen nordeuropäischen Staaten mustergültig vor, wie man durch eine politische Verfassung, durch die Einbindung der Bürger in politische Entscheidungsprozesse und durch die Garantie von Freiheitsrechten eine stabile und friedliche Gesellschaft erreichen kann.

Dänemark und Schweden profitierten von diesem Schritt, aber auch Schleswig-Holstein, dessen erste Verfassung von 1848 in vieler Hinsicht vom norwegischen Vorbild inspiriert war.

Wenn wir also heute, 200 Jahre nach dem Kieler Friedensschluss, dem Ereignis einen neuen Stellenwert geben wollen, dann überwiegt die Erkenntnis, dass nicht die Grenzverschiebungen oder der Austausch von Territorien das Bleibende von 1814 gewesen sind, sondern der Wunsch, die Zukunft friedlich und auch demokratisch zu gestalten.

Die Versicherung, dem „Jammer und Unglück des Krieges“, wie es im Vertragstext heißt, das „Glück des Friedens“ zwischen den Menschen folgen zu lassen, war in diesem Falle mehr als eine bloße Floskel. Für den Norden Europas brachen friedliche Zeiten an.

Meine Damen und Herren,

wir werden heute noch Genaueres zum historischen Ereignis zu hören bekommen. Ich möchte an dieser Stelle danach fragen, welche Bedeutung das historische Gedenken für Gegenwart und Zukunft haben kann. Die Erfahrung, dass ein Ereignis auch heute noch – je nach nationaler Tradition – unterschiedlich interpretiert und wahrgenommen wird, ist eine Konstante in der europäischen Erinnerungskultur. Europa besteht aus einer Vielzahl sehr selbstbewusster Staaten. Nicht wenige von ihnen waren einmal Großmächte oder sogar weltumspannende Reiche. Daraus resultierten blutige Kriege und bis heute bestehende Rivalitäten und Vorurteile.

Diese Konflikte und gegensätzlichen Auffassungen in einem Kraftakt harmonisieren zu wollen, halte ich für falsch. Wir sollten diese buchstäblich vielfältige, weil unterschiedlich wahrgenommene und empfundene Geschichte als Wert begreifen, als Diskussionsgrundlage, die uns eines Tages weiter bringen wird.

Wichtig ist es, dass diese Konflikte nicht verschwiegen, klein geredet oder aber hochgespielt werden. Wenn wir in Europa einander auch hinsichtlich einer historischen Perspektive näher kommen wollen, dann müssen wir diese gegensätzlichen Positionen einem historischen Ereignis gegenüber akzeptieren. Das spricht keineswegs gegen die Bemühungen, Gemeinsames aus der Geschichte zu lesen und zu lernen. Im Gegenteil: Die Lehre aus Konflikten kann durchaus verbinden.

Europa hat in seiner Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass der ernsthafte Wille zum Frieden auch tatsächlich eine friedlichere Welt schafft. Der Kieler Frieden steht darin durchaus in einer Tradition nachhaltiger Friedensordnungen, wie wir sie nach 1990 – allerdings nicht ohne Rückschläge – gemeinsam für ganz Europa errichtet haben.

Ich wünsche den Besucherinnen und Besuchern der heute im Warleberger Hof eröffneten Ausstellung ebenso wie allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der vielen Feierlichkeiten in Norwegen und andernorts, die zum Gedenkjahr an 1814 stattfinden werden, dass immer auch diese zukunftsträchtige Botschaft präsent sein wird.

Dann – meine Damen und Herren – haben wir nicht allein den Kieler Frieden und das Jahr 1814 ein Stück weit in das Bewusstsein der Menschen gebracht, sondern wir haben einen Beitrag zu einem künftigen europäischen Geschichtsbewusstsein gelegt.