Der Frühling kommt meist spät nach Norwegen. Es gibt keine Garantie, dass der Nationalfeiertag am 17. Mai unter blauem Himmel bei Sonne und sommerlichen Temperaturen stattfindet. Der Winter ist zwar offiziell vorbei, aber häufig müssen Norweger aus allen Teilen des Landes dem unfreundlichen Wetter mit Schnee, Regen, Wind und Kälte trotzen, um auf die bekannte und so typische norwegische Art ihren Nationalfeiertag zu feiern. Die Stichworte dieses Tages sind Musik, Kinderumzüge und -paraden, Flaggen, Schleifen und Anstecknadeln in den Nationalfarben und traditionelle Trachten aus allen Regionen des Landes.
Kinder feiern an erster Stelle
Sobald die ersten Bäume leichtes Grün zeigen, laufen die Vorbereitungen für den Nationalfeiertag in Norwegen auf Hochtouren. Nach und nach werden die Trachten hervorgeholt und der dazugehörige Silberschmuck geputzt. Zu Hause werden Blumen, Tischdecken und Kerzen in den Nationalfarben aufgestellt, die Blumenbeete bepflanzt, der Fahnenmast und die Flagge auf Makellosigkeit überprüft. In allen Dörfern und Gemeinden marschieren Blaskapellen durch die Straßen und üben auf den nunmehr vom Schnee befreiten Wegen die über den Winter rostig gewordene traditionelle Musik. Sie spielen Lieder über die Wiederkehr des Frühlings, über die Verbundenheit zur Heimat, die Nationalhymne «Ja, vi elsker» und auch die Hymne der Kinder «Vi ere en nation, vi med», nach einem Gedicht des norwegischen Dichters Henrik Wergeland. Denn Norwegen ist kein Land der großen Militärparaden. Der Nationalfeiertag ist der kindlichen Freude an Musik, Spiel und Gemeinschaft gewidmet. Es ist ein Tag, an dem die Gemeinschaft und der Zusammenhalt gefeiert werden, ein Tag, an dem alle dazugehören.
Norwegen erhält seine Unabhängigkeit
Der 17. Mai, auch Grunnlovsdagen genannt, ist in Norwegen der Tag der Verfassung. Nach dem Kieler Frieden vom 14. Januar 1814 wurde Norwegen von Dänemark an Schweden abgetreten. Infolgedessen fand im Frühling desselben Jahres ein Treffen der höchsten Regierungsbeamten Norwegens in Eidsvoll statt. Am 17. Mai 1814 wurde die erste Verfassung Norwegens verabschiedet. In den folgenden Jahren wurde dieser Tag zunehmend deutlich markiert, und im Jahre 1844 fanden erstmals Bürgerumzüge und Festreden statt. Die Tradition der Kinderumzüge wurde erst durch Bjørnstjerne Bjørnson und seinen Freund, den Schuldirektor Peter Quam, im Jahre 1870 begründet, als am Nationalfeiertag knapp 2000 Jungen zu einem Schülerumzug versammelt wurden. Ebenso zentral für die Gestaltung des Nationalfeiertages steht der Dichter Henrik Wergeland, der mit seinem gesellschaftlichen Engagement die norwegische Öffentlichkeit prägte und beeinflusste.
Seit der Unabhängigkeit von Schweden im Jahre 1905 steht das norwegische Königshaus in der Bedeutung für die nationale Identität an zentraler Stelle. Der junge König Haakon, seine Frau Maud und Sohn Olav wurden zu Vorbildern und prägend für die norwegische Kultur und Identität. Die Königsfamilie hat seit 1906, mit Ausnahme der Besatzungsjahre während des zweiten Weltkriegs, jedes Jahr vom Schlossbalkon in Oslo aus das Volk und speziell die vorbeiziehende Kinderparade begrüßt.

Der Nationalfeiertag als Medienereignis
Die nationale Identität, die am 17. Mai so ausgeprägt im Mittelpunkt steht, wird durch die Fernsehübertragung verstärkt. Nahezu jeder Norweger nimmt einerseits an seiner lokalen Feier teil, wird jedoch andererseits auch Teil eines medialen Erlebnisses im Fernsehen, wo der Nationalfeiertag durch die Übertragung einen allgemeingültigen Charakter für jeden Norweger annimmt. Jedes Kind kennt den Ablauf, sieht die Königsfamilie mal vor ihrer Residenz, mal auf dem Balkon des Schlosses in Oslo stehen und winken. In jeder Gemeinde werden ähnliche Traditionen, Reden und Paraden abgehalten; jeder Ort in Norwegen ist an diesem Tag wie der andere – ohne dabei seine Eigenart zu verlieren.
Dieser vertraute Ablauf bestätigt der norwegischen Gesellschaft eine Beständigkeit und Zuverlässigkeit, wie sie die meisten Norweger schätzen. Der Nationalfeiertag, ob im Fernsehen betrachtet oder direkt vor Ort erlebt, ist eine generationenübergreifende und sammelnde Erfahrung, die auch über kulturelle und ethnische Unterschiede hinweg Brücken baut. Norwegen, ein kleines Land am nördlichen Rand von Europa, hat in diesem Frühjahr eine Einwohnerzahl von 5 Millionen erlangt. Es bleibt ein kleines Land, aber mit einer vielschichtigen ethnischen Zusammensetzung. Das Bevölkerungswachstum ist größtenteils auf Zuwanderung zurückzuführen, und das bedeutet auch im Bezug auf den Nationalfeiertag, dass Platz für Neues geschafft werden muss. Jeder neue Norweger wird sich den traditionellen Abläufen in irgendeiner Form anpassen müssen – aber es bleibt innerhalb dieser Abläufe Platz für Vielfalt und für Einflüsse aus unterschiedlichsten Kulturen.
Begegnung von Tradition und Moderne
Die Spiele, die nach der Parade auf den Schulhöfen gespielt werden, erfahren besonders in urbanen Gegenden durch eine multi-ethnischen Zusammensetzung eine Bereicherung, da hier oft neue Spiele und Aktivitäten von eingewanderten Norwegern übernommen werden. Kulinarisch wird mancherorts inzwischen auch mehr angeboten als die traditionellen Würstchen in Lompe (flaches, weiches, rundes norwegisches Gebäck, in das man das Würstchen einwickelt), und auch die Unterhaltung und die Reden profitieren von der Vielfalt. Norwegen ist einerseits ein traditionsbewusstes Land, in dem die Verbundenheit zur Natur, zu früheren Generationen und nationalen Traditionen auch bei jüngeren Generationen große Bedeutung hat. Norwegen ist aber auch ein junges, modernes und urbanes Land, in dem globale Einflüsse, Trends und Lebensweisen nicht nur übernommen, sondern auch neu generiert werden. Die Herausforderung bleibt, Tradition und Moderne, Norwegisches und Internationales miteinander zu vereinbaren, aber in der Besonderheit des Nationalfeiertages liegt bereits ein Lösungsvorschlag.
Öffentliche Veranstaltungen am 17. Mai in Deutschland:
Hamburg
Berlin