"Ich suche Musiker, die in der Lage sind, Musik zu interpretieren. Musik wird oft mit enormen Gefühlen komponiert und diese müssen wir wieder zurück auf die Bühne bringen", sagt Anne-Sophie Mutter, die im Oktober zusammen mit den jungen Trondheimer Solisten in Detuschland auf Tournee war.
Von Idun Haugan
Die Trondheimer Solisten setzen sich aus heutigen und früheren Musikstudenten der Norwegischen Technischen Naturwissenschaftlichen Universität, zusammen. Für die Trondheimer Solisten und die Musikausbildung an der NTNU stellt Anne-Sophie Mutter eine enorme Quelle der Inspiration dar. Sie hat zu einer qualitativen Verbesserung der jungen Musiker beigetragen und hat ihnen durch Tourneen und Aufnahmen unbezahlbare professionelle Erfahrungen gegeben.
Foto: Harald Hoffmann/Deutsche Grammophon
Vor diesem Hintergrund wurde Anne-Sophie Mutter die Ehrendoktorwürde der Universität verliehen.
Welche Bedeutung hat die Verleihung der Ehrendoktorwürde für Sie?
- Es ist eine große Ehre und auch Anerkennung für die Bedeutung der Musik im Allgemeinen; ich bin mir bewusst, dass ich eine von vielen Musikern bin, die versucht einen Beitrag für unsere Gesellschaft zu leisten. Es beutet mir viel, wenn jemand von uns eine solch wunderbare Anerkennung erhält, da dies einen oft übersehenen, aber wichtigen Teil unser Existenz beleuchtet: Geistigkeit, die Möglichkeit zur künstlerischen Ausübung und zur Kommunikation über alle Landesgrenzen, Sprachen und Religionen hinweg. Für mich ist diese Anerkennung, eine Anerkennung der Kunst in ihrer Gesamtheit. Ich glaube, viele Künstler sind sich ihrer Aufgabe bewusst, Licht in das Leben der Menschen zu bringen.
Eine vibrierende Leinwand
Man kann sich fragen, wie eine Virtuosin auf Weltklasseniveau und ein Kammerorchester aus Musikstudenten und jungen Musikern zusammenfanden. Die Violinistin muss einen Moment in ihren Erinnerungen graben: 1997 kreuzten sich die Tourneewege von Anne-Sophie Mutter und den Trondheimer Solisten zum ersten Mal in Europa und an mehreren Orten hörte sie lobende Kommentare über das talentvolle Kammerorchester. Sie wurde neugierig und nahm Kontakt auf. Dies führte zwei Jahre später zu einer Tournee, die als Höhepunkt in einer Aufnahme von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" endete.
- Daran erinnere ich mich als wäre es gestern gewesen. Das war in Kopenhagen und es war fabelhaft.
Die Aufnahme gilt unter Musikliebhabern als besonders wertvoll. Warum ist gerade diese Aufnahme und Interpretation so populär?
- Es ist natürlich ein großes Kompliment für alle Beteiligten, dass die Aufnahme so geschätzt wird, aber es geht auch darum, dass alle eine Beziehung zu Vivaldis Musik haben können. "Die vier Jahreszeiten" sind wie eine wundervolle, vibrierende Leinwand, auf der eine Geschichte erzählt wird. Es ist ein bisschen wie "1001 Nacht", ein ewiges Märchen, das sehr vielschichtig ist. Das Werk hat so viele Einzelheiten, so viele Farben und so viele Mysterien in sich, dass jedes Mal wenn man dieses musikalische Buch öffnet, es neue Dinge zu erforschen gibt. Es wird nie langweilig, weder für den Zuhörer noch für den Musiker. "
"Die vier Jahreszeiten" sind zu einem Aushängeschild der Konstellation Anne-Sophie Mutter und den Trondheimer Solisten geworden und steht auch dieses Mal wieder auf dem Tourneeprogramm.
Foto: trondheimsolistene.no
Erfolg ist nicht das Ziel
Storytelling, der Musik Farbe und Inhalt zu verleihen, dies betrachtet Anne-Sophie Mutter als ihre Hautaufgabe. Auf diesen Aspekt legt sie auch wert, wenn sie durch die Anne-Sophie Mutter Stiftung in Deutschland Nachwuchsmusiker zur Talententwicklung auswählt.
- Ich versuche junge Musiker zu finden, die starke Meinungen und eigene Standpunkte vertreten. Es besteht die Gefahr, dass man versucht beliebt zu sein und sich ein sicheres Rezept für Erfolg wünscht. Aber der Erfolg ist nicht das Ziel. Das Ziel muss es sein, unter die Haut zu gelangen, Fragen zu stellen, gerne zu schockieren und nicht nur am wohlgefälligen Auftreten interessiert zu sein. Das ist es, was ich unter dem Begriff "Storytelling" verstehe. Wir brauchen Nachwuchsmusiker, die sich trauen, das Publikum aus ihrem Komfortbereich zu schütteln. Dann ist es dem Publikum überlassen, ob es dies liebt oder hasst. Nichts ist schlimmer als Gleichgültigkeit, betont Anne-Sophie Mutter und holt kurz Atem bevor sie engagiert weiterspricht:
- Ich suche Musiker, die fähig sind Musik zu interpretieren, die das, was der Komponist ausdrücken wollte, wiedererschaffen können. Musik wird oft mit enormer Leidenschaft und großem Leiden komponiert, und dies müssen wir wieder zurück auf die Bühne bringen. Dies erfordert viel Wissen, Mut und Talent.
Frische Dynamik
Finden Sie solche Musiker unter den Trondheimer Solisten?
- Sie sind fähig ganz vorne auf der Stuhlkante zu sitzen. Das ist nicht immer gemütlich, aber gut für die Musik. Es ist eine gute Ausgangsposition. Die Hauptsache ist, dass wir bei unseren Zusammenkünften ein hohes musikalisches Niveau halten. Es ist eine fruchtbare Zusammenarbeit und sie spielen auf eine frische Art und Weise. Das mag ich. Und da die ganze Zeit über neue Leute ins Orchester kommen, wird Dynamik, guter Fluss und Entwicklung erzeugt.
Als Ehrendoktor der NTNU befindet sich Anne-Sophie Mutter in Gesellschaft mit vielen berühmten Persönlichkeiten, die der Universität in Trondheim auf unterschiedlichste Art und Weise Inspiration und Wissen zugeführt haben. Einige von ihnen geben Gastvorlesungen.
Werden zukünftige Studenten Sie in der Lehrsituation erleben dürfen?
- Wenn die Zeit dies zulässt, später einmal, wenn ich weniger spiele und mehr Zeit zum Reden habe - der Himmel weiß, wann – möchte ich gerne zurückkommen. Aber ich glaube, dass der beste Unterricht für Studenten darin besteht, andere Musiker üben und spielen zu sehen; zu erleben wie man Musik gemeinsam entwickelt. Aus diesem Grunde hatten wir die Musikstudenten eingeladen, der Generalprobe vor der Tourneepremiere beizuwohnen. Und ich teile meine Erfahrungen mit den Studenten unter den Trondheimer Solisten.
Im Laufe der zweiwöchigen Tournee werden sie auf zehn unterschiedlichen Bühnen in vier Ländern auftreten. Dies ist eine einzigartige Konzerterfahrung für die Trondheimer Solisten und Anne-Sophie Mutter freut sich darauf mit diesen jungen Musikern, die ganz vorne auf der Stuhlkante sitzen, zusammenspielen zu können.
Foto: trondheimsolistene.no
Ehrendoktoren an der Norwegischen Technischen Naturwissenschaftlichen Universität
Die NTNU ernennt jährlich seit 1996 Ehrendoktoren. Das Ehrendoktorat wird Personen verliehen, die einen außerordentlichen Einsatz in der Forschung geleistet haben oder durch andere Tätigkeiten einen Beitrag zur Entwicklung der NTNU oder der Gesellschaft beigetragen haben. Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch internationale Beziehungen. Die meisten Ehrendoktoren arbeiten im Bereich der Naturwissenschaften. Anne-Sophie Mutter ist die vierte ausübende Musikerin, der die Würde eines Ehrendoktors an der NTNU verliehen wird. Sie befindet sich in illustrer Gesellschaft zusammen mit:
Liv Ullmann, norwegische Schauspielerin und Regisseurin
Arve Tellefsen, norwegischer Violinist
Chick Corea, amerikanischer Jazzpianist und Komponist