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Datum:: Samstag, 21. März 2015 16:00 - Sonntag, 22. März 2015 22:00
Ort:: Haus der Berliner Festspiele

Die Bibliothek der lebendigen Bücher - ein Kunstprojekt

Ein Performer/Vorleser und ein Ein Performer/Vorleser und ein "Leser". Foto: Silvano Magnone.

In dem Projekt „Time has fallen asleep in the afternoon sunshine" warten zwei Tage lang sechs Künstler im Haus der Berliner Festspiele darauf, wie in einer Bibliothek abgeholt zu werden, um dem "Leser" Teile eines zuvor auswendig gelernten Buchs zu rezitieren. Ein Interview mit der norwegischen Projektleiterin Mette Edvardsen.

 

Das Projekt:

Sechs Künstler (Katja Dreyer, Mette Edvardsen, David Helbich, Sébastian Hendrickx, Sonia Si Ahmed, Kristien Van den Brande) tragen aus jeweils einem der folgenden Werke vor:

  • Johann Wolfgang von Goethe
    Faust (1808/1832)
  • Herman Melville
    Bartleby, the Scrivener (1853)
  • T.S. Eliot
    Four Quartets (1943)
  • Soseki Natsume
    I am a Cat (1905/1906)
  • Emine Sevgi Özdamar
    Seltsame Sterne starren zur Erde (2003)
  • Rainald Goetz
    Loslabern (2012)

Das Projekt wird  am 21. März und am 22. März jeweils von 16 bis 22 Uhr im Zuge der MaerzMusik der Berliner Festspiele im Haus der Berliner Festspiele vorgeführt. Weitere Informationen zu den Terminen gibt es hier.

 

Interview mit Mette Edvardsen, der leitenden Künstlerin: 

Wie kamst du auf die Idee zu deinem Projekt?

Im Projekt „Time has fallen asleep in the afternoon sunshine“ hat sich eine Gruppe von Künstlern für jeweils ein Buch entschieden, das sie auswendig lernen oder „by heart“, wie es im Englischen etwas poetischer heißt. Zusammen erstellen sie dadurch eine Sammlung „lebendiger Bücher.“ Die Idee stammt von Ray Bradburys Zukunftsutopie „Fahrenheit 451" aus dem Jahre 1953, welche die Geschichte einer Gesellschaft erzählt, in der Bücher verboten sind und als gefährlich gelten. Feuerwehrmänner löschen hier keine Flammen mehr, sondern verbrennen Bücher.

Zensur ist ebenso ein zentrales Thema in dem Roman. Wir beginnen dort, wo das Buch aufhört: Der Protagonist muss flüchten und wird Teil einer Untergrundbewegung, in der Menschen Bücher auswendig lernen, um sie für die Zukunft zu bewahren. Mit dem Projekt vollziehen wir keine Adaption von Fahrenheit, aber wir interessieren uns für „learning by heart“ als Praxis und was dies bedeutet.

Das Projekt wurde seit 2010 in über 20 verschiedenen Städten präsentiert und umfasst eine Sammlung von über 50 Titeln auf vielen verschiedenen Sprachen. Ihr rezitiert dabei verschiedene Bücher, in Berlin unter anderem Goethes Faust und „Loslabern“ von Rainald Goetz. Wieso hast du dich für diese Bücher entschieden?

Alle wählen ihr eigenes Buch, dies war für mich aus zwei Gründen wichtig: Erstens soll jeder seine eigene Motivation haben, ein Buch zu wählen, und zweitens soll die Buchsammlung nicht meine oder die Vision eines Anderen sein. Wir arbeiten nicht inhaltsmäßig. Das Buch ist nicht das Wichtigste, es ist eher ein „side effekt“. Im Prinzip kann es jedes Buch sein. Die Praxis, was wir machen und was dies bedeutet, das Leseerlebnis, das ist entscheidend.

Wir versuchen, das Buch zu werden, den Wörtern, der Sprache und der Form nah zu sein, eher als diese nur zu interpretieren. Ein Buch auswendig zu lernen ist vielmehr, als Inhalt im Kopf zu speichern. Wir entwickeln das Auswendiglernen als eine Praxis.

Foto: Elly Clarke.Foto: Elly Clarke.

Du wurdest von Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ inspiriert. Wie aktuell und relevant sind seine Utopien für die Gegenwahrt?

Im Ausgangpunkt war das Projekt nicht direkt politisch motiviert. Wir waren daran interessiert, an die Praxis des Auswendiglernens und dessen Bedeutung zu erinnern. Es ist traurig konstatieren zu müssen, dass Bücherverbrennungen heute ein hochaktuelles Thema ist. 

Die Erinnerung ist radikal in unserer Zeit. Das Vergessen ist eine Tugend und eine Eigenschaft, das Erinnern ist überflüssig und unbrauchbar. Wenn das Ziel wäre, diese Bücher für die Zukunft zu sichern, wie in Fahrenheit, dann gäbe es genügend Technologien, die besser geeignet wären.

Das Auswendiglernen ist eine Praxis mit langer Geschichte, die in manchen Kulturen immer noch praktiziert wird. Aber in einer Welt, die durch ständige Neuheiten definiert wird, kann das Auswendiglernen auch als ein Widerstand gegen das Vergessen betrachtet werden. Die Situation, die zwischen dem Künstler und dem Publikum entsteht, oder zwischen „Buch“ und „Leser“, ist vor allem als ein Erlebnis zu betrachten, aber ich glaube dass die Erinnerung und das Erleben dieser Erinnerung einen Wert an sich besitzt.

Im Mittelpunkt des Projektes steht also das Erlebnis. Ihr werdet die Bücher durch eine „one-to-one experience“ rezitieren. Was möchtest du dadurch vermitteln?

Wir möchten ein Leseerlebnis schaffen, und da wirkte es sinnvoll, dies in einem eins-zu-eins Erlebnis zu vermitteln. Wenn man mit dem „Buch“ alleine ist, kann das Erlebnis auf verschiedenen Ebenen auf den „Leser“ einwirken. Von außen betrachtet, sieht es wirklich nicht anders aus, als wenn zwei Personen zusammensitzen und miteinander sprechen. Es ist ein Erlebnis, aber auch eine Situation: Vielleicht des Szenekünstlers „inneres Wesen“, das Kleinste, welches möglich ist: Ein Künstler und eine Person im Publikum. Das Buch wird durch den Erzählenden für den Zuhörer lebendig und existiert in dieser Situation als „Buch“.

Es handelt sich hierbei um einen Auszug des Interviews.